Jock McDonald's Heimkehr

(c) Stuart Savory, 1993

Jock McDonald war ein Hochlandschotte, sparsam und stolz. Seine Wehrdienstzeit hatte er in Deutschland verbracht in den siebziger Jahren in Sennelager. Dort verliebte er sich in ein hübsches Mädchen mit wallender flachsfarbener Haarpracht wie mit goldenem Pelz überzogen, ein deutsches Fräulein aus dem Bilderbuch. Die beiden heirateten katholisch, und er blieb nach seiner Zeit bei der Armee in Paderborn hängen. Ab und zu aber packte ihm das Heimweh. Dann war er nicht mehr zu halten. Er rief nachts (der verbilligten Gebühren wegen) bei seinem Clan in Schottland an und verabredete, am nächsten Abend vom Hauptbahnhof in Edinburgh abgeholt zu werden. Gewöhnlicherweise trat dann der Großteil des Clans als Begrßungskommittee auf dem Bahngleis an, den eigendestillierten Whisky schon zum Willkommenheißen parat. Aus Grunden der Sparsamkeit ließ er immer seine Frau und die vielen kleinen Kinder zuhause im Dorf bei Paderborn. Er reiste immer nur für ein Wochenende und auch ohne Gepäck; der Clan kam für ihn vor Ort üblicherweise auf. Bei Bedarf bekam er stets einen Regenmantel geliehen.

Dank der neuen Flugverbindungen konnte er jetzt direkt von Paderborn nach London fliegen, anstatt erst nach Düsseldorf fahren zu müssen. Er fuhr vom Flughafen Heathrow dann mit dem Bus nach London hinein, besser gesagt, zum Bahnhof Euston, von wo die Intercity-Züge nach Edinburgh losfuhren. Es war ein warmer Mai-Tag, und der pummelige kleine Jock, kaum ein Meter sechzig groß, aber mit fast neunzig Kilo Körpergewicht, kam schon beim Anblick der Bahnhofstreppen ins Schwitzen. Die zehn Jahre in Deutschland, unter stetigem Genuß des perfekten Paderborner Pils, hatten dazu geführt, daß er einen Bierbauch vor sich hertrug, als ob er mit einem Fußball schwanger ging. Jock erklomm langsam die Treppe zum Bahnhof, um schweißgebadet zu entdecken, daß er den Zug gerade verpaßt hatte. Der nächste Intercity nach Edinburgh, las er, ging um sechzehn Uhr, also erst in zwei Stunden.

Er schleppte sich schwitzend die Treppen wieder hinunter und beschloß, einen kleinen Einkaufsbummel für Kleidung zu machen, um die zwei Stunden zu verbringen (schließlich ist Kleidung in England billiger!). Aber zunächst hatte er Hunger und Durst. Der Durst hatte nach keltischer Tradition Vorrang. In einem urigen Londoner Pub gestattete er sich zwei Pints dieses herrlich bitteren raben-schwarzen Guiness-Gesöffs, weil er es in Deutschland kaum bekam. Diesen schwarzen Sammet hatte er jahrelang nicht mehr getrunken. Dann ging er, leicht angeheitert und glücklich, über die Straße und aß einen Hamburger oder zwei. Schließlich sollte der Gewinn im Clan bleiben. Er hatte noch eine Stunde Zeit und so beschloß er, sich zwei Jeans-Anzge im Billigladen nebenan zu kaufen, denn sein einziges Hemd, die er mitgenommen hatte, und die Sommerhose waren bereits ziemlich durchgeschwitzt. Zudem hatte er versehentlich einen Ketchupfleck auf der Hose, merkte er trotz des Dunstes der Guinness-Fahne, die ihn umnebelte.

Er hatte immer Probleme beim Kleidungskauf wegen seiner kugelförmigen, kleinen Figur. Also fing er im Jeans-Laden mit den Hosen an. Jeans-Anzge hatten sie nicht, Hose und Jacke müsse er getrennt kaufen, teilte ihm die Bedienung schnippisch mit. Nach einer Stunde hatte er zwei schlichte Hosen gefunden, die sein Bäuchlein nicht zu sehr unter Druck setzten. Er legte sie auf die Theke zurück und begann verschiedene, schön gestickte Jeans- Jacken anzuprobieren. Die erste hatte einen wünderschönen seidenen Tiger auf der Rückseite gestickt, und, oh Wunder, sie paßte um seinen Bauch, ohne zu eng zu wirken. Die Zeit lief, aber er merkte es nicht. Läden haben nie eine Uhr sichtbar, damit die Kunden nicht merken, wie die Zeit beim Einkauf zerrinnt. Als er eine zweite passende Jacke gefunden hatte, blickte er zufällig auf seine Tchibo-Armbanduhr. Vier Minuten vor Vier! Sein Zug! Er stürmte aus der Umkleidekabine, warf die Jacke auf die Theke und schrie "Die beiden nehme ich! Aber schnell, schnell; Mein Zug geht gleich." "Macht zwanzig Pfund!" sagte die Bedienung; so günstig hätte er in Deutschland keine zwei Jeans-Anzüge bekommen, dachte er flüchtig. Dann warf er die verlangten zwanzig Pfund auf die Ladentheke, riß die Plastiktasche aus der Hand der Verkäuferin und stürmte zum Bahnhof. Seine kurzen dicken Beine werkelten wie die Kolben einer Dampfmaschine als er die Treppen schwitzend hochrannte. Dennoch wurde er von einer alten englischen Lady mit ihrem asthmatischen Bulldog an der Leine, die ebenfalls die Treppen hochhechteten, überholt. Und dann die Katastrophe! Die beiden Hamburger und das Guinness hatten sich zu einem teuflischem Gemisch verwandelt. Durchfall! Vor lauter Anstrengung in der prallen Nachmittagssonne machte er die Hose voll. Ekelig! Aber er gab nicht auf und sprintete die letzten dreißig Meter zum schon anfahrenden Zug. Der Schaffner hielt die Tür noch auf, wo die alte Lady mit ihrem Bulldog gerade eingestiegen war. Jock warf seine Plastik-Einkaufstasche vom Jeans-Laden durch die offene Tür und sprang selbst an Bord. Dabei riß seine Hose auch noch hinten auf.

Der Gestank war bestialisch und der Schaffner drehte sich ab, wohl überlegend, ob er das Richtige getan hatte, dieses Ferkel an Bord zu lassen. Der Bulldog fing sofort an, Jock anzubellen. Jock schämte sich und versteckte sich derweil auf der Toilette. Was tun? dachte er. So konnte er nicht reisen. Wie würden die Clan-Mitglieder sich ekeln (oder lachen), wenn er so ankam. Und die Klamotten im Handbecken waschen konnte er auch nicht. Keine Seife! Dann fiel ihm ein: er könnte die neuen Jeans- Sachen tragen und keiner würde etwas merken. Nein, die stinkende Hose wäre dann in der Plastiktasche. Das wird sicherlich jemand merken! Er müßte die schmutzige Hose loswerden, auch wenn es gegen seine sparsame Seele ging. Schließlich hatte sie ganze siebzehn Mark im Winterschlußverkauf bei C & A gekostet.

Er stellte sich seine Ankunft vor. Der ganze Clan freude-jubelnd auf dem Bahnsteig in Edinburgh. Und er stolz im nagel-neuen Jeans-Anzug mit seidenem Tigerkopf auf dem Rcken. Das wird eine Schau sein! Und Onkel Charlie, der für die Lokalpresse schrieb, wird auch seine Kamera dabei haben, um die Heimkehr des verlorenen Sohnes zu photographieren!

Vorsichtig zog er seine Schuhe und Socken aus, denn sie müßten sauber bleiben. Sein Hemd ebenfalls. Dann entledigte er sich der total verschmutzten Hose und Unterhose. Nun stand er splitternackt in der Zugtoilette. Vor der Tür kratzte und bellte dieser verdammter Bulldogge, als ob sie wisse, was los war! Jock wusch sich dennoch sorgfaltig und ohne Hast und trocknete sich mit der Handtuchrolle tupfend ab. Es klopfte an der Tür. Die alte englische Lady schrie "Beeilen Sie sich darin, ich muß auch mal!". Jock geriet fast in Panik. Er konnte unmöglich die beschmutzte Hose in der Toilette liegen lassen. Die adelige alte Lady würde durchdrehen und der Bulldog diese beschmutzte Hose triumphierend als Beute durch den Gang des Zuges tragen! Einen Mülleimer gab es auch nicht. Und die Hose würde nicht durch das Toilettenloch passen. Also öffnete er das Fenster und warf die dreckige Hose und Unterhose schleunigst aus dem Fenster des fahrenden Zuges. Das wird keiner merken, dachte er. Keiner wird wissen, daß er es gewesen war. Die alte Lady hämmerte derweil wieder an der Tür der Toilette, und der Bulldog kläffte und kratzte dauernd ebenfalls an der Tür. Entspannt, da er seine Probleme gelöst hatte, sagte Jock: "Einen Moment bitte, muß bloß die Hose richten, gnädige Frau". Dann nahm er die Plastiktüte, die er in Windeseile aus dem Jeans-Laden mitgenommen hatte und machte sie auf. Darin lagen, brav zusammengefaltet, was er für seine schwerverdienten zwanzig Pfund erworben hatte: zwei Jacken!


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